Die gelbe Linie, die uns den Weg in die Stadt weisen soll, endet an einem Zaun. Ein Zeichen? Was soll’s. Wir finden unseren Weg ganz intuitiv und lassen uns durch Heraklion treiben. Ein Tag wie sechs Wochen Sommerferien. Warum es sich lohnt, einfach mal ohne einen gebuchten Ausflug von Bord zu gehen

Wir gehen von Bord, aber kommen nicht weit: Erst mal wird das Schiff fotografiert. So ist das, wenn man mit Schiffsfotografen/Kreuzfahrtbloggerinnen unterwegs ist. Dann durch die Sicherheitskontrolle, das ist easy, wir sind ja in Europa. Der Shuttlebus bringt uns aus dem Hafen, von da gehen wir zu Fuß weiter. Eine gelbe Linie auf dem Boden soll den Weg durch Heraklion weisen. Doch sie endet an einem Maschendrahtzaun. Ein Zeichen? Wir nehmen es als Hinweis, uns einfach treiben zu lassen. Durch die kleinen Gassen der Innenstadt. Vorbei an einem Brunnen.
Milchreis, süß und sanft wie Sommerferien
Wir holen uns Milchreis aus einer Bäckerei, die herrlich nach Vanille duftet. Setzen uns mit dem Milchreis auf einen sehr großen, sehr leeren Platz auf einer alten Festungsmauer, löffeln. Ein unaufgeregtes Griechenland. Wir wissen nicht, was es zu sehen gibt, es interessiert uns auch nicht, denn es ist auf seltsame Weise schön dort, wo wir sind. Die Zeit dehnt sich im Nichtstun. Ein Gefühl von Sommerferien, früher. Niemand will etwas von uns.
In der Nähe das Meer, in der Ferne die Berge. Oben liegt noch reichlich Schnee. Dabei brennt die Sonne.

Wir gehen weiter, auf der Festungsmauer entlang und zurück in die Stadt, durch schmale Gassen mit zerfallenen Häusern. Ein Mann erntet Zitronen von einem Zitronenbaum. Die Früchte sind groß, fast rund wie Äpfel. Leuchtend gelb.

Kleine Läden, dicht an dicht. Schuhe, Sandalen, ein Paar geflügelt wie Hermes, der Götterbote, Schutzgott der Reisenden. Und Seifen, immer wieder Seifen. Wir kaufen welche. Hey, wer braucht keine Seifen? Mit Olivenöl. Ich weiß: Wenn ich zuhause meinen Koffer öffne, durften die mir herrlich entgegen. Bei den Ledertaschen dagegen kann ich mich nicht entscheiden. Die sehen alle gut aus. Aber ich brauche keine Tasche.

Einkehren in eine kleine Taverne. Es gibt keine Speisekarte. Ein alter Mann, in der einen Hand eine Flasche Ajax, in der anderen einen Lappen, besprüht Tisch, wischt ihn ab und bringt uns dann sieben Teller mit kleinen Gerichten: Fava, ein Bohnenmus. Feta, gefüllte Weinblätter, Tomaten und Gurken, Bifteki.
You have not finished: Die hochprozentige Herausforderung
Dazu frisch gepresster Orangensaft, Als wir zahlen wollen, sagt er: „You have not finished.“ Ihr seid noch nicht fertig. Er tischt einen Teller mit Kuchen auf, zwei Gabeln und eine kleine Flasche, dazu zwei Schnapsgläser. Das ist kein Ouzo, das ist heftig schmeckender Grappa. Unsere Trinktechnik ist unterschiedlich: Ich nippe, Schluck für Schluck. Stefan bringt es so schnell wie möglich hinter sich, er kippt den Fusel, als würde er ein Pflaster abziehen. Mehr als ein Glas schaffen wir nicht.

Wir schlendern wieder durch Gassen, die langsam vertrauter wirken. Zum Hafen, zur venezianischen Bastion. An der Kaimauer entlang, die weit ins Wasser ragt. Wir wollen bis zum Ende gehen. Doch als wird den Punkt, den wir für das Ende des gehalten haben, erreichen, sehen wir: das geht noch ein, zwei Kilometer weiter. Wir drehen um, legen uns hin und wieder auf dem Boden, um die perfekte Perspektive für ein Foto zu finden. Dann stehen wir wieder auf, klopfen uns den Staub ab, sehen den langen Weg vor uns liegen, gehen an der Mauer entlang, steigen in den Shuttlebus und sind schon wieder am und auf dem Schiff. Sieben Stunden waren wir unterwegs. Sieben luftig-leichte, verschlenderte, entspannte Stunden. So kann sich Urlaub anfühlen.
Ich war in Heraklion nicht allein unterwegs, sondern mit Stefan von shipsatsea.de. Er ist leicht zu erkennen, seine Poloshirts (und fast alle seine weiteren sichtbar getragenen Kleidungsstücke) sind mit dem Schriftzug ships@sea bestickt.

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