"Wie die Prinzessin im Märchen" wollte Fontane seine märkische Heimat erlösen (oder wachküssen?) mit seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg". Auf dem Fontane-Radweg radeln wir durchs Ruppiner Seenland, nach Rheinsberg und zum Großen Stechlinsee

Reisetagebuch: Rheinsberg und Großer Stechlinsee
Der Campingplatz ist eher so funktional, die Badeschuhpflicht im Waschraum wird ernster genommen als die Maskenpflicht. M. nimmt noch rasch ein Bad im Tornowsee. Ich lag frühmorgens wach, ich glaube, ich habe eine Nachtigall gehört. M. lag spätabends wach, er hat das Paar im Zelt nebenan streiten gehört. Wir radeln durch den Wald, machen einen Abstecher zur Boltenmühle, die Fontane in einem Gedicht erwähnte. Jetzt Ausflugsgastro und Hotel mit Wellness. Binenwalde und die Sabinensage verpassen wir irgendwie.
Auf dem Weg liegen die Braunsberger Höfe, die sind ein hübscher Tipp zum Übernachten. Der Hofladen hat leider zu.

Tipp:
Braunsberger Höfe, Ferienwohnungen und Hofladen, braunsberger-hoefe.de
Dann: Rheinsberg.
1740 abgebrannt, wieder aufgebaut, ein Beispiel frühklassizistischer Stadtplanung, so ähnlich wie Neuruppin klingt die Geschichte, aber Rheinsberg wirkt viel provinzieller, bloß
irgendwie aufgebohrt für den Tourismus.
Die Tipps – die Marmeladen-Manufaktur Marmelo und das Veggie-Café Grünzeugs – haben leider geschlossen.
Die Dame in der Tourismus-Info dreht vor meiner Nase den Schlüssel in der Tür um,
Mittagspause von 12.30-13.30 Uhr verkündet ein ausgedruckter Zettel, auf der Öffnungszeitentafel draußen am Gebäude war noch keine Rede davon. Okay, wir sollten vielleicht auch erst mal etwas
essen. Wie Fontane, der Reiseprofi, das bei seinem Besuch getan hat.
Halt, erst noch Keramik gucken. Rheinsberg soll eine alte Keramikstadt sein, mit langer Tradition. In der Sanddornwelt in Werder gab es im Laden Porzellan mit Fontane-Birnbaum-Motiven. Sehr hübsch. Und, wenn ich mich richtig erinnere, aus Rheinsberg. Ich frage in der Keramikwelt, einer großen Verkaufsausstellung, die sich über mehrere langgestreckte Gebäude zieht. Mit diversen Arbeiten verschiedenster Keramikkünstler in den Holzregalen. Die Dame dort schüttelt auf meine Frage nach Fontane-Porzellan nur den Kopf und schickt mich weiter zum Keramik-Museum neben der Kirche. Zu Herrn Schink. Doch der hat nur ein paar Fontane-Becher, die er 2019 zum Fontane-Jahr entworfen hat. Er verweist mich ans Keramik-Hotel. Ein Hotel mit Keramik-Produktion, von außen recht schmucklos. Dort gibt es auch jede Menge Getöpfertes, alles handbemalt und Spül- und Mikrowellen-fest, wie der eifrige Herr an der Rezeption versichert. Aber Fontane? Nüscht. Tucholsky war übrigens auch hier, ihm hat die Stadt sehr gefallen, er hat sie in „Bilderbuch für Verliebte“ verewigt. Es muss an seiner Begleitung gelegen haben. Aber nach Tucholsky-Keramik frage ich lieber nicht.
Eigentlich war alles mein Fehler: Die Fontane-Keramik wird in Rathenow hergestellt.

Tipp:
HavellandKeramik Manufaktur von Klaus Handschuh, klaus-handschuh.de
Jetzt endlich was essen, bevor M.s Laune noch schlechter wird.
Die Lokale hier (in der gesamten Gegend, nicht nur in Rheinsberg) sind sehr fleischlastig. Auch der Ratskeller, in dem Fontane
einkehrte – noch bevor er die kulturellen Schätze der Stadt erkundete. Auf der Terrasse genoss er 1859 unter dem Blätterdach der Kastanien sein Frühstück. Heute steht als „Fontanes Leibgericht“
auf der Karte: Altbrandenburgischer Rinderschmorbraten mit Ingwersauce und Apfelrotkohl, dazu Kartoffelklöße mit Semmelbutter. Das hat der gute Mann zum Frühstück gegessen? Wohl kaum.
Wir nehmen lieber das vietnamesische Asia-Sushi-Restaurant. Das hat viel Auswahl für Vegetarier und alles mit Geschmack.
Und schräg gegenüber sehen wir eine hölzerne Giraffe auf dem Gehweg und
einen Specht an der Hauswand – Werke des Bildhauers Tony Torrilhon.

Tipp:
Das Atelier des Holzkünstlers und Bildhauer Tony Torrilhon, tony-torrilhon.de
Und nun: Das Schloss! Das, was Fontane überhaupt auf die Idee zu seinen „Wanderungen“ brachte.
Fontanes Inspiration:
1858 schrieb Fontane aus Schottland, als er bei der Besichtigung des „Douglasschlosses“ im Kinroß-See (...) „an Rheinsberg und den Rheinsberger See dachte, stand es in meiner Seele fest, die Mark
Brandenburg und ihre Schlösser und Seen zu beschreiben zu wollen.“
Aus diesem Impuls entstanden die vier Bände der „Wanderungen“ und der abschließende Band „Fünf Schlösser“.
„Ich bereise jetzt unsere märkisch-brandenburgische Heimat und durchstöbre (...) die alten Schlösser (...), dazu die kleinen märkischen Städte mit ihren Männern und ihren Erinnerungen.“ Fontane hoffte, so die märkische „Lokalität“, deren Reize weitgehend unentdeckt waren, „wie die Prinzessin im Märchen zu erlösen“.

Okay, das Schloss ist beeindruckend. Jedenfalls von außen, rein gehen wir nicht. Die Lage am See! Der Park! Die Treppe zum See hin! Die Skulpturen im Park! Der Park soll eine Fingerübung Friedrichs des Großen für Sans Soucci gewesen sein. Sind die Figuren da im Park wirklich Musen? Eine von ihnen hat einen Schachturm in der Hand. Ein früher Hinweis auf das „Damengambit“? Ein Musikfestival wird vorbereitet. „Ich habe schon schlechtere Orte für Freiluftbühnen gesehen“, muss auch M. zugeben.

M. hat da was auf der Karte oder im Netz oder irgendwo gesehen, deshalb radeln wir einen Schlenker. „Guck mal, da gibt es sogar einen Leuchtturm!“, sagt er, als ich wegen des Umwegs maule. Die
Attraktion ist dann auch höchst bizarr: Das „Rheinsberger Hafendorf“ ist eine Ferienanlage, in der alle Häuser direkt am Wasser stehen und über einen eigenen Bootsanleger verfügen. Also eine
künstliche Reihenhaussiedlung mit angeleinten Motorbooten davor. Die kann man in einem kleinen Büro mieten. Davor steht ein massiger Typ im Feinripp-Unterhemd, flankiert von kleinen, aber auch
schon stämmigen Söhnen und einer passenden Frau, und ordert lautstark „was mit mehr PS“ für den nächsten Tag.
Der Leuchtturm ist übrigens auch nicht echt. Er sieht sogar aus, als sei er aus Plastik.

Weiter Richtung Großer Stechlinsee, Namensgeber für Fontanes Roman „Der Stechlin“ (in dem auf 500 Seiten nicht viel passiert, wie Fontane selbst bemerkte) und größter Klarwassersee Norddeutschlands. Und wirklich: Sehr schön, sehr klar. Passend dazu natürlich der Name des Cafés, in das wir noch gerade rechtzeitig vor Schluss um 18 Uhr einkehren: Glasklar. Mit regionalen Produkten. Und sehr gutem NY Cheesecake.

Tipp:
Café Glasklar, Café und Regionalladen, cafeglasklar.de
Auch der Imbiss am Strand ist prima, die Pizza gibt es als halben oder ganzen Meter. Nein, kein Quadratmeter. Aber ordentlich und mit sehr viel Knoblauch (war gewünscht.)

FONTANE.RAD – Informationen zur Route
2019 feierte Brandenburg den 200. Geburtstag des Autors – und schuf die Route FONTANE.RAD. Die Strecke führt durch das Havelland und das Ruppiner Seenland an die Orte, die Theodor Fontane als Vorlage für seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und andere Werke dienten, aber auch zu Stationen seiner Lebensgeschichte.
Etwa 300 Kilometer ist die Strecke lang, Informationstafeln an rund 60 Fontane-Orten geben Auskunft über Geschichte und Geschichten. Bezaubernd sind die kommentierenden Zitate von Emilie Fontane, seiner Ehefrau, auf den Tafeln.
Es gibt acht Etappen, sieben Tagestouren und zwei Variante. Ich brauchte ein bisschen, um das Prinzip zu verstehen (ein intensiver Blick auf die Karte hilft da ungemein), aber dadurch lässt sich die Route abwechslungsreich und individuell zusammenstellen.
Informationen zur Route auf fontanerad.de
Mehr Informationen über die Region auf ruppiner-seenland.de
Und so geht es weiter:
Irrungen, Wirrungen, Etappe
3:
Mit dem Rad auf Fontanes Spuren im Ruppiner Seenland
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