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Irrungen, Wirrungen, Etappe 3: Mit dem Rad auf Fontanes Spuren im Ruppiner Seenland

Wir entdecken die "Wilde Heimat", erfahren etwas über die Seidenproduktion in Brandenburg, naschen von Maulbeerbäumen und nehmen ein Bad hinter dem Bundesgästehaus in Meseberg

Wilde Heimat Fürstenberg, Ruppiner Seenland, Brandenburg, roter Camping-Bus
So kann ein Campingplatz also auch aussehen: Die "Wilde Heimat" in Fürstenberg

Reisetagebuch: Wilde Heimat und ein Traum von Seide

Wir haben auf dem Zeltplatz „Wilde Heimat“ in Fürstenberg übernachtet. So können Campingplätze also auch sein!
 Ein riesiges Gelände (ehemalige Faserfabrik, natürlich Rüstung, Zwangsarbeit, schlimme Geschichte dahinter, die Gedenkstätte Ravensbrück ist direkt in der Nähe), viel Platz für vereinzelte Kiefern, ein paar Oldschool-Busse, eine Jurte, eine Feuer-Hütte und eine ganz entzückende, zusammengezimmerte „Sommerküche“. Mit Tisch und Bänken auf Rädern, die man auf den alten Schienen verschieben kann – unters Dach oder in die Sonne. 
Und Tiny Houses, also: schicke Bauwagen. 
Auf dem Grill in der Sommerküche sind nur vegetarische Gerichte erlaubt.

„Das Einfache ist das Wichtige und das Leben mit der Natur ist sehr erfüllend“, findet Martin Richter-Sinnig, der die „Wilde Heimat“ 2018 zusammen mit seiner Familie gegründet hat.

Alles entspannte, freundliche Menschen. Uns gelingt das fragwürdige Kunststück, neben dem einzigen Vollhonk des ganzen Platzes zu zelten. Er redet lautstark religiöses Zeugs vor sich hin, von Hölle und so, und fährt nachts mit seinem Motorrad durch die Gegend. Zwischendurch schnarcht er. Zum Verrücktwerden!


Outdoor-Küche Wilde Heimat Campingplatz Fürstenberg
Sommerküche in der "Wilden Heimat": Tisch und Bänke auf Schienen

Tipp:

Natur-Campingplatz "Wilde Heimat", wilde-heimat.de

Morgens bauen wir fix ab und machen es uns noch ein wenig in der Sommerküche gemütlich. 
Wir radeln über Altglobow, dort verkauft der Biohof Kepos Gemüse zum Selbsternten. Es ist alles recht spät dran, der Mais ist wirklich noch sehr klein. Aber der Mangold, der sieht super aus. Man schneidet selbst, wiegt selbst ab und zahlt in die Kasse des Vertrauens.

Mangold, Biohof Kepos, Ruppiner Seenland, Brandenburg
Bitte blattweise ernten: das Mangold-Beet auf dem Biohos Kepos

Tipp:
Biohof Kepos, Obst und Gemüse zum Selbsternten und Ferienwohnungen, biohofkepos.de

Am Ortseingang von Zernikow erwartet uns ein Naturdenkmal: Die Maulbeerallee. Das sind die letzten Zeugen eines interessanten Unterfangens: Seidenproduktion. Ein Forstauto hält neben uns. Ein Mann im Ranger-Look steigt aus, pflückt ein paar Maulbeeren vom Baum und steckt sie sich in den Mund. „Könnt ihr essen!“, ruft er uns zu. „Schmecken lecker! Ein bisschen wie Brombeeren. Nehmt die dunklen!“ Wir probieren. Hmm, die sind süß. Er hat Recht: Lecker! „Ihr habt Glück, die sind gerade jetzt reif“, sagt er und braust davon.
 Die Maulbeerbäume stehen da, weil Seidenraupen ausschließlich Maulbeerblätter fressen. Ganz frische. Nassgeregnet dürfen sie auch nicht sein. Da sind die kleinen Biester krüsch, zimperlich und empfindlich.

Maulbeere, Maulbeerallee, Zernikow, Ruppiner Seenland, Brandenburg
Leckerbissen am Straßenrand: Maulbeeren schmecken fast wie Brombeeren

Im Gutshaus gibt es eine Ausstellung zur Geschichte der Seidenproduktion in Brandenburg. (Die alles in allem kein großer Erfolg war, die Produktion, nicht die Ausstellung.)
 Der Gutsverwalter empfängt mich und pustet vorsichtig gegen ein paar sehr unecht aussehende Falter, die in einer Pappkiste kauern. Sie bewegen sich. Sie leben! Sie sind echt. Maulbeer-Seidenspinner sind flugunfähig. Eigentlich sitzen sie nur herum und legen Eier.
 Die Seidenraupen im Karton nebenan sehen etwas agiler aus. „Die haben wir hier, um das Ganze ein wenig anschaulicher zu machen“, so der Verwalter. „Wenn ich Feierabend habe, nehme ich sie mit nach Hause.“ Warum das? “Sie müssen ständig versorgt werden. Sie brauchen immer frische Blätter.“

Maulbeer-Seidenspinner, falter, Gut Zernikow, Ruppiner Seenland, Brandenburg
Seltsame Wesen auf Küchenkrepp: Maulbeer-Seidenspinner im Gut Zernikow

Die Seidenproduktion begann in Brandenburg kurz nach dem 30jährigen Krieg und sollte der Region Renommee bringen. Geglückt ist das nicht so recht. Die Produktionsmengen blieben stets weit hinter den Erwartungen zurück, die Zucht und Haltung der Tiere erwies sich als schwierig und störungsanfällig. Die Maulbeerblätter reichten nicht, die Raupen starben, das bisschen Seide, das produziert wurde - die sogenannte „Landseide“ – reichte gerade mal an die schlechteste (italienische) Qualität heran.

Die Maulbeerbäume zu beschädigen wurde unter Strafe gestellt, es wurden mehr und mehr gepflanzt. Zwischendurch wurde die Seidenproduktion aufgegeben, aber immer wieder aufgenommen. Im 19. Jahrhundert, unter den Nazis (die haben die Kinder belogen, die fleißig Seidenraupen züchteten und ihnen weisgemacht, dass aus 15.000 Kokons ein Fallschirm hergestellt würde. Das stimmte aber nicht, in Wahrheit wurde Rohseide mit U-Booten aus Japan importiert). Selbst in der DDR wurde weitergezüchtet, es gibt da sehr hübsche Fibeln und sogar ein Quartett mit gereimter Zuchtanleitung.

Hach, ich mag so etwas: Eine Geschichte der Misserfolge!

Gut Zernikow, Ruppiner Seenland, Brandenburg
Gut Zernikow, einst Hochburg der brandenburgischen Seidenproduktion

Im Falafel-Garten bekommen wir Mittagessen. Der Betreiber ist sonst mit seiner Bude auf Festivals unterwegs. Da diese gerade nicht stattfinden, hat er den Wagen in seinem Garten aufgestellt, dekoriert die Portionen sehr ansprechend und erklärt auch einem etwas skeptischen älteren Herrn, was er da essen könnte – nämlich Kichererbsenbällchen.

Bundesgästehaus Schloß Meseberg, Ruppiner Seenland, Brandenburg
Der Zaun vor Schloss Meseberg hat Symbolcharakter: Wenn wir kommen, ist meist geschlossen

Das Bric a Brac auf dem Gutshof-Gelände in Zernikow hat leider geschlossen.

Überhaupt ist unser Timing selten brillant, oft stehen wir vor verschlossenen Türen. So auch beim Schlosswirt in Meseberg.


Das Schloss selbst, Gästehaus der Bundesregierung, ist hervorragend mit sehr hohen Zäunen und Kameras gesichert. Aber vom Ufer des Sees hat man einen wundervollen Blick darauf – und M. eine prominente Badestelle ganz für sich allein. Nur die Kameras der Regierung schauen zu.
 Und ich natürlich.

Schloss Meseberg, See, Ruppiner Seenland, Brandenburg
Nur die Überwachungskameras sehen zu: Badestelle hinter Schloss Meseberg

Gransee, „die festeste Stadt der Grafschaft Ruppin“, wie Fontane meinte, wirkt dagegen etwas freudlos. Trotz schöner Anlage. Das Luisendenkmal ist zwar von Schinkel (der auch aus der Gegend stammt), aber schlecht zu fotografieren. Dabei war Königin Luise von Preußen, die mit nur 34 Jahren starb, doch die wahre „Königin der Herzen“. Trotzdem: Gransee wirkt auf uns finster. Und der Campingplatz sieht voll, eng und abschreckend aus. Wir finden ein hübsches Plätzchen mit einer Badestelle auf der Halbinsel von Alt-Ruppin.


Etappen-Info:
Fontane.Rad Hauptroute, Teile von Etappe 2 und 3
79,18 Kilometer

Mehr über das Ruppiner Seenland auf
ruppiner-seenland.de

Die Fontane-Radroute finden Sie auf
fontanerad.de

 

 

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